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ernkraft ist in Frankreich kein Tabuthema, schon gar nicht in Fessenheim, ein paar Kilometer von Breisach entfernt. In der elsässischen 2300-Einwohner-Gemeinde ist das älteste Kernkraftwerk Frankreichs positioniert, das am 29. Juni 2020 vom Netz ging, und viele Bürgerinnen und Bürger Fessenheims halten es bis heute für unverzichtbar.
Das AKW Fessenheim polarisiert noch immer
Das Kernkraftwerk hat vielen wirtschaftlichen Wohlstand gesichert, war Arbeitsplatz direkt oder mittelbar für rund 2000 Menschen in einer ausgesprochen strukturschwachen Region. Nun ist das Atomkraftwerk am 29. Juni 2020 endgültig abgeschaltet worden. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat die Schließung nach langen Debatten verfügt – und muss nun in Kauf nehmen, dass der ultimative Stopp des elsässischen Energiemeilers ihm in Frankreich nur sehr bedingt Beifall einträgt.
Anders als jenseits der Grenze: Im Großraum Freiburg hat sich über viele Jahre eine Anti-Atomkraft-Bewegung etabliert. “Atomkraft nein danke” hieß und heißt der kurze Slogan, und er wurde auch genutzt, um massiv gegen den Betrieb des Atomkraftwerks in Fessenheim zu protestieren. Natürlich waren die Super-GAUs in Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) Treiber einer internationalen Bewegung, die den ultimativen Ausstieg aus einer Technik forderte, die sich immer mehr als nicht sonderlich sicher erwies.
Bestätigung der Gegner von Fessenheim
Anders als wohl die meisten Franzosen im engeren Bereich des Kraftwerks Fessenheim sahen viele Südbadener in diesem Kernkraftwerk nie einen unbedingt notwendigen Energielieferanten, sondern ein Unternehmen, das im Wesentlichen Pech und Pannen produzierte. Keine Pleiten übrigens: Für den Betreiber EDF rentierte sich das Kraftwerk bestens. Doch es gab immer wieder haarsträubende Zwischenfälle.
Anfang April 2014 floss beispielsweise Kühlwasser in unten liegende Räume – Schaltschränke hätten vollfluten können, eine Katastrophe bahnte sich an. Es ging noch mal gut, der Betreiber hatte die gleiche Begründung wie in aller Regel bei ähnlichen Zwischenfällen: eine Bagatelle, jederzeit beherrschbar. Das glaubte von den vielen Atomkraftgegnern in der frühzeitig grün bewegten Nachbarregion Südbaden indes niemand.

Protest der Breisacher Mahnwache gegen das AKW Fessenheim
Kein ‘Fessenheim am Kaiserstuhl’
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass Atomkraft in den Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland auch vielen Menschen im Land als Königsweg zu einer “sauberen” Energiegewinnung galt. 1955 wurde sogar mit der späteren CSU-Größe Franz Josef Strauß ein deutscher Atomminister ernannt. Der Bau von etlichen leistungsfähigen Atommeilern in Deutschland wurde vorbereitet: Auch Breisach war als Standort vorgesehen. Später entschied man sich für Wyhl. Bekanntlich wurde das Atomkraftwerk am Kaiserstuhl nie gebaut, obwohl Ministerpräsident Hans Filbinger 1975 drohte, dass der Verzicht auf dieses Kraftwerk dazu führe, dass in Baden-Württemberg alsbald die Lichter ausgehen. Sie gingen nicht aus, vielmehr gingen viele Bürger, Winzer mit CDU-Parteibuch ebenso wie linke Studenten und viele andere im Wyhler Wald auf die Barrikaden, und zwar massenhaft.
Das Projekt “Atommeiler am Kaiserstuhl” war erledigt. Aber die Stimmungslage war nun eh anders: Eine Mehrheit der Fachleute, eine Mehrheit der Bürger war mittlerweile überzeugt, dass der Atomstrom letztlich doch mehr Fluch als Segen sei. Die Entsorgung der atomaren Reste erschien als teures und fragwürdiges Unterfangen, die Sicherheit der Reaktoren erwies sich als ausgesprochen fraglich – Dinge, die in der früheren Euphorie um die friedliche Nutzung der Kernkraft einfach nicht bedacht worden waren.
Nach Fessenheim: Fragen über Fragen
Im Nachbarland Frankreich gab es solche Bedenken allenfalls bei einigen Atomkraftgegnern, die zahlenmäßig kaum eine Rolle spielten. 1977, vor 43 Jahren, ging in Fessenheim der erste französische Atomreaktor mit zwei Blöcken ans Netz. Heute sind zwischen der Bretagne und dem Süden Frankreichs noch 56 Reaktoren in Betrieb, sie sollen Zug um Zug vom Netz genommen werden, aber keineswegs alle. Sicher ist, dass man im Nachbarland recht genau beobachtet, was denn nun mit den Resten von Fessenheim geschieht. Wie wird dieses Kernkraftwerk zurückgebaut, was wird aus der Region, was wird aus den Menschen? Ist der im Gespräch befindliche Gewerbepark auf dem AKW-Gelände in Fessenheim nichts als Wunschdenken?
Viele Fragen sind noch offen, viele Fragen werden wohl auf absehbare Zeit nicht beantwortet. Aber am südlichen Oberrhein überwiegt ganz klar die Freude, dass dieser Atomreaktor mit seinen vielen Risiken seinen Betrieb einstellt. Dass andere, wirklich saubere Energiekonzepte funktionieren, führt man in Deutschland vor – auch wenn da nicht alles zu bejubeln ist. Die Mahnwachen wie in Breisach können ihren “Betrieb” nun einstellen – es gibt ja eigentlich nichts Schöneres für eine Bürgerinitiative, als durch Erfolge überflüssig zu werden.
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